Warner Music Central Europe beendet das Jahr mit einem Paukenschlag: Atlantic Records, eines der weltweit prestigeträchtigsten Labels, startet einen deutschen Ableger. Von Berlin-Kreuzberg aus soll zukünftig die deutsche Hip-Hop-Landschaft entscheidend mitgeprägt werden, mit besonderem Fokus auf Underground-Rap.
Das erste große Signing kann bereits bekannt gegeben werden: Yung Hurn, einer der prägendsten deutschsprachigen Künstler der letzten Jahre, geht erstmals in seiner Karriere eine Zusammenarbeit mit einem Majorlabel ein. Mit Flavio und Vero wurden außerdem zwei Newcomer bei Atlantic Records Germany unter Vertrag genommen.
Atlantic Records Germany wird angeführt von einem erfahrenen Team, das ein tiefes Verständnis für die deutsche Rap-Szene mitbringt. Natascha Augustin, eine Schlüsselfigur für den Aufstieg der deutschen Rap- und Hip-Hop-Szene in den letzten Jahren, die erst in der vergangenen Woche zum Vice President Warner Chappell Music Germany befördert wurde, ist als Beraterin an Bord. Ihr zur Seite stehen Haci Altinpinar als profilierter A&R Manager und Vertreter von Berlins Underground-Szene, Steph Karl als Manager International Collaborations & Special Projects, die mit ihrem internationalen Background die Botschafterin in die internationale Atlantic-Welt ist, sowie Stern Trenkler als Junior A&R Manager, der A&R-Kompetenz mit einem Publishing-Background verbindet und die Brücke zu sehr jungen und aufstrebenden Künstlern/Produzenten schlägt. Sie merkt an:
"Mit Atlantic Records Germany bringt Warner Music die ikonischste Labemarke endlich nach Berlin. Der Siegeszug von Rap in Deutschland hat weltweit für Aufsehen gesorgt. Das wunderbare Team Atlantic Records Germany tritt jetzt an, um Deutschrap mit Major Power und Indie Attitude auf internationales Niveau zu heben. "
Atlantic Records Germany geht einerseits mit dem Anspruch an den Start, ein mutiges, kantiges und popkulturell relevantes Rap-Label zu etablieren, ebenso jedoch versteht man sich als Kreativzentrum in Berlin. Beim regelmäßig abgehaltenen, rein weiblichen Rap-Camp „SHE“ etwa oder dem Format „Foreign X Change", für das internationale Producer:innen Sessions und Kollabo-Tracks mit lokalen und internationalen Artists erschaffen.
Nach ihrer Beförderung zu Co-Presidents von Warner Music Central Europe ist der Launch von Atlantic Records Germany für Doreen Schimk und Fabian Drebes ein wichtiger Baustein in der Neuausrichtung des Unternehmens: „Der Launch von Atlantic Records Germany wird den Markt elektrisieren. Denn wir haben hier eine der signifikantesten Rap-Szenen in Europa. Wir werden mit den besten Künstler:innen arbeiten und ihnen eine Plattform und Unterstützung für eine langfristige Karriere im Business anbieten. Wir freuen uns daher sehr, Yung Hurn als ersten Künstler auf dem Label zu signen.“
Wir bei KlickBoom sind gespannt, ob das selbsterklärte neue Kreativzentrum zu besserem Deutschen Rap führt oder ob hier nur alte Bekannte unter neuer Flagge segeln und alte Traditionen pflegen. Schließlich haben wir den Big 3 – Universal, Sony und Warner – zu verdanken, dass Deutschland der einzige Rapmarkt weltweit ist, der nie eine eigene Kultur entwickelt hat und auf dem derjenige gewinnt, der am glaubhaftesten kopiert. Die Folge ist, dass sich zwar weiterhin gutes Geld damit verdienen lässt, aber eben auch dass jedes deutsche „Cool Kid“, das etwas auf sich hält, sich nicht mehr mit dieser Karneval/Karaoke-Show abspeisen lässt und lieber auf die Originale aus den USA, Frankreich oder England ausweicht. Schließlich finden Original und Abklatsch heute auf den selben Plattformen statt und sind nur einen Swipe voneinander entfernt. Das erste Signing – Yung Hurn – ist Ausdruck dieser Copy-Cat-Kultur und legt nahe, dass auch der neue Ableger alten Marktregeln folgt und gar nicht den Anspruch hat, diesen Teufelskreis zu durchbrechen und Deutschen Rap gegenüber anderen Märkten zu emanzipieren. Der Anspruch „ein mutiges, kantiges und popkulturell relevantes Raplabel zu etablieren“ klingt für uns nicht nur etwas altbacken, sondern auch sehr widersprüchlich – mutig und kantig scheint schwer mit popkultureller Relevanz vereinbar, und letztere wiederum kaum mit Rap. Zumindest nicht Rap, wie wir ihn verstehen. Daher gehen wir davon aus, dass mit dem neuen, alten Label lediglich Marktanteile zurückerobert werden sollen, anstatt einen wirklichen Beitrag zu kulturellen Emanzipation von Deutschrap zu leisten. Wie sehr kommunizierte Ansprüche und Marktrealität im Musikbusiness Auseinanderfallen, hat Universal bereits mit seinem Ableger „Urban“ gezeigt, der mit einem ähnlichen Anspruch antrat, aber letztlich auch nur alte Mechanismen bedient. Die Hoffnung stirbt aber bekanntlich zuletzt – insofern hoffen wir auf etwas mehr Weitsicht und Experimentierfreudigkeit beim Warner-Pendant.