Mucho gusto? Süßer oder saurer Wein? Wtf?! Wer die letzten Tage auf Twitter unterwegs war, dürfte auffällig oft auf einen jungen Dude im roten Pullover gestoßen sein. Sein Name lautet Viko63 und er rappt über ein Girl, das Wein unter wechselnden Bedingungen sehr angenehm findet. Die Meinungen über sein Talent gehen ziemlich weit auseinander. Doch warum bekommt ein drei Monate altes Video ausgerechnet jetzt so viel Aufmerksamkeit? Der Versuch einer Antwort, damit niemand mehr unvorbereitet auf das neueste Viko63-Meme trifft.
Vikos Track über diesen oder jenen Wein schwappt von einer Plattform zur nächsten. Bereits am 4. Juli 2021 geht die Performance im Rahmen einer Aboveground Session auf YouTube online. Zusammen mit Producer Penglord sowie ein paar Homeboys und Homegirls veranstaltet Viko63 (jetzt auf Apple Music streamen) einen kleinen Rave. Zu diesem Zeitpunkt ist das Video auf dem Kanal eines von vielen. Das ändert sich nach und nach. Die Aufrufzahlen steigen. Inzwischen wurde das Video über 400.000 Mal angesehen. Vor gut einem Monat lässt CrhymeTV wissen, dass dieser Viko63 "ziemlich stabil" ist. Bonez MC teilt den Tune zudem in seiner beliebten Insta-Story. Auch bei der 187 Strassenbande ahnt man augenscheinlich den Wein-Talk.
Am 27. September landet ein Clip der Session schließlich auf dem TikTok-Account von Aboveground – und geht viral. 1,5 Millionen Views hat der Ausschnitt dort in knapp zwei Wochen erzielt. Vergleichbare Videos performen bei Weitem nicht auf diesem Level. Viko63 scheint auch auf dieser Plattform einen Nerv zu treffen. Es nehmen immer mehr Menschen von Viko63 und seiner Gang Notiz. Die Twitter-Community erkennt bisher ungenutztes Meme-Potenzial. Viko63 dringt zunehmend in die Timelines vor. Hier zwei Beispiele:
Doch an dieser Stelle endet die Geschichte um Viko63 nicht. Der Rapper und seine Entourage werden nicht einfach als kurzweiliges Meme durchgewunken. Stattdessen: Diskussionen, wohin das Auge schaut.
Viko63 spaltet Rapfans
Man könnte meinen, dass Yung Hurn beziehungsweise K. Ronaldo die Türen für Rave-Sound und spaßgeschwängerte Texte derart weit aufgestoßen haben, dass sich kaum noch jemand an Viko63 und seinem Techno-Rap stört. Spoiler: Das ist wohl nicht so. Die Internetgemeinde betrachtet Viko63 gespalten. Was für den einen zum ultimativen Soundtrack der kommenden Party gehört, ist für den nächsten ein neuer Tiefpunkt der Deutschrapgeschichte.
Die eigenwilligen Betonungen ("Borrrrdow), ein Techno-Beat mit "Stoff & Schnaps"-Flavour und junge Menschen, die einfach Spaß an ihrer Mucke haben: All das findet nicht überall Anklang. Eine Storyline, die von Lambrusco über Bordeaux zu Vino Blanco reicht, tut hierbei wohl ihr Übriges. Auf der anderen Seite stehen erklärte Fans des Sounds. Sie sind voll dabei, wenn Viko63 seinen "einzigartigen Techno-Druffie-Hip Hop" liefert. Und da die Welt nicht Schwarz oder Weiß ist, hängen einige irgendwo zwischen diesen Extremen. Ein beliebter Kommentar auf YouTube: "no joke ich find das so bescheuert, aber irgenwas lässt mich das jetzt zum 5. mal gucken."[sic]
Schon anhand der Memes wird deutlich, dass sich der Hate zum Teil aus dem äußeren Erscheinungsbild ableitet. Der Look sorgt für gemischte Gefühle. Viko63 wird als das Klischee eines nach Berlin gezogenen Hipster-Studenten wahrgenommen. In den Kommentarspalten und Twitter-Bubbles geht es rund. Sehen die Leute in Berlin so aus? Ist diese Körperhaltung noch gesund? Nichtsdestrotrotz bekommt Viko ebenso reichlich Komplimente. An einigen Orten werden die Viko63-Takes als wahlweise "hot" oder "bisschen sexy" abgefeiert. Der Rapper, der 2021 sein "Keller Tape" rausgebracht hat, polarisiert auch abseits der Musik.
Das Gerede um Viko63 demonstriert, wie das Internet aus dem Nichts virale Phänomene erschaffen kann. Eine gute Zeit macht sich der Rapper schon eine Weile. Bevor der Wein erstmalig das Prädikat "mucho gusto" bekommt, steht bereits die "Sauf Sport Balance" im Vordergrund. Mit dem Song landet Viko63 zusammen mit TimmyT vor gerade einmal einem halben Jahr einen gar nicht so untergrundigen Streaming-Hit. Für die Produktion zeigt sich wiederum Penglord verantwortlich. Ebenfalls existiert ein betont trashiges Musikvideo. Alles, was aktuell an dem Künstler Viko63 diskutiert wird, findet sich auch dort. Nicht nur Wein muss scheinbar einen Reifeprozess durchlaufen.
Jetzt stimmt offenkundig das Momentum. Für Fans des Sounds ist die Lage trotzdem nicht komplett mucho gusto. Der gehypte Track ist nicht im Streaming zu finden. Ihn zeitnah auf die bekannten Plattformen zu packen, wäre wohl ein smarter Move. Die Promo läuft schließlich von ganz allein. Die Viko63-Wave hat sich derart verselbstständigt, dass auch andere Acts hineingezogen werden. Wenn Quotes oder Bilder von Viko63 demnächst in der Whatsapp-Gruppe aufschlagen sollten, aus der du schon längst austreten wolltest, weißt du Bescheid. Tzz, tzz, tzz, tzz.
Auch wenn wir hiphop.de für ihre gute Berichterstattung feiern, finden wir den Beitrag über Viko nicht wirklich ausgewogen und die Lobgesänge auf seine Musik, die sich anhört wie Fritz-Leon beim Karaokeabend im elterlichen Schrebergarten, ziemlich befremdlich. Aus unserer Sicht hat Viko´s Musik mit Rap oder Hip Hop nichts zu tun, auch wenn man auf Krampf versucht diese hier irgendwie zu verorten. Wer sowas feiert, ist nicht Rap oder Hip Hop und schon gar nicht Gang, wie hiphop.de mit Bezug auf die lauchigen, taktbefreiten Figuren schreibt, die den „Künstler“Viko bei seiner Performance umgeben. Vielmehr beantwortet Viko´s Auftritt bei Above the Ground für uns die Frage, was man erhält, wenn man Rap von allem was auch nur ansatzweise cool ist befreit. Wir gehen auch nicht mit, wenn hiphop.de den Hate auf die Optik beschränkt. Das Produkt ist absolut rund - Sound und Optik sind gleichermaßen beschissen. Der Hype erklärt sich für uns eher daraus, dass sich Viko mit dem was er macht vom gewohnten Deutschrapeinheitsbrei absetzt, als dadurch, dass er Deutschrap um eine neue Facette bereichert. Das gelingt ihm weil er nunmal keinen Rap macht. Als Rapplattform soetwas hochzustilisieren, bedeutet daher eine Verwässerung von Rap. Leute die soetwas feiern, sind die gleichen Leute die Fanta4 und Falko als den Ursprung des deutschsprachigen Rap preisen.
Klar ist, Deutscher Rap wird nicht besser, wenn man jedem Müll eine Plattform gibt und Begriffe wie „Künstler“ so inflationär nutzt, wie den Begriff „Bruder“ heutzutage. Deutscher Rap braucht einen klaren und eigenen Rahmen – ein Mindestmaß an Qualität, das nicht unterschritten werden darf. Das ist hier eindeutig der Fall. Viko ist genauso Rap oder Kunst wie DJ Bobo. Diese Einschätzung hat weniger mit unserem persönlichem Geschmack zu tun, als damit, dass Viko´s Produkt selbst einer sehr weiten Definition von Rap nicht entspricht, da seiner Musik alle dafür wichtigen Merkmale fehlen. Damit wollen wir niemandem absprechen, dass er Viko gut finden kann oder er mit dem was er macht erfolgreich wird. Für uns hat das aber eben mit dem Genre, für das wir stehen, nichts zu tun und daher hier auch keine Existenzberechtigung.