Vor rund zwei Wochen veröffentlichte HipHop.de einen Artikel mit dem Titel: „Wenn Deutschrap wirklich fresher denn je ist: Wer hat Mut zu Experimenten?“ Das Rapmagazin wirft damit eine der wohl wichtigsten Fragen überhaupt auf – nämlich wo Deutschrap im internationalen Vergleich steht. Jedem, der amerikanischen, englischen oder französischen Rap hört, wird sicher bereits aufgefallen sein, dass alles was in deutschen Studios in Mics gespittet wird – um es höflich zu sagen – sehr stark daran anlehnt. Viele Deutschrapper machen sich nicht einmal die Mühe die Nähe zum Original zu kaschieren, sondern kopieren 1 zu 1 samt Beat. Auch an Xatar ist diese Erkenntnis nicht vorbeigegangen. Dieser wirft auf Twitter die berechtigte Frage auf, warum US-,UK- und Frenchrap unique sind, aber das höchste Ziel für Deutschrapper immer noch, mit seinem Produkt möglichst nah an diese heranzukommen.
Nun mag man sich darüber wundern, dass diese Frage gerade von Xatar aufgeworfen wird, der ja maßgeblich dazu beigetragen hat, Deutschrap und seine aktuelle Ausrichtung zu prägen. Auch seine eigene Musik war ja schließlich immerschon stark von US-Rap – genauer Westcoast Rap –
beeinflusst. Seine Künstler stehen dem in nichts nach. G.be es eine Liste der dreistesten Ideendiebe im Deutschrap, so würde diese sicher von Eno angeführt, den die Szene bereits mit „Eno Scott“ in eine handfeste Depression getrollt hat. Auf der anderen Seite muss man anerkennen, dass Xatar einer der wenigen Visionäre in diesem Game ist, der dieses Problem erkannt hat und keine Angst, dieses auch zu thematisieren, obwohl ihm sicherlich bereits beim Absetzen dieses Post klar gewesen
sein dürfte, dass dieser back-fired. In seinem Folgepost stellt er daher klar, er nehme sich aus diesem Beispiel nicht aus und zeigt damit, dass er zwar an Bauchumfang aber nicht an Größe verloren hat.
Als einer der Hauptprofiteure der aktuellen Ausrichtung im Deutschrap, dieses Fundament anzugraben, erfordert nämlich Größe und vor allem Reflexion, weil der Move alleine zeigt, dass es hier um weit mehr geht, als „nur“ darum Geld zu verdienen. Es geht um eine eigenständige Kultur, die es Deutschen Rappern endlich erlauben würde, als authentische Künstler wargenommen zu werden und damit in Deutschland und international mehr Anerkennung zu bekommen. Davor steht logischer Weise die Frage, was Kunst und Künstler ausmacht und die Erkenntnis, dass Kunst in erster Linie Kreation bedeutet – die Erschaffung von etwas Neuem. Das Stehlen und Kopieren der Arbeit anderer Künstler hat damit wenig zu tun. Weder zeugt dies von besonderer Kreativität noch beschreibt dies irgendeine andere Eigenleistung, die rechtfertigen würde, jemanden, der nach diesem Schema arbeitet, als Künstler zu bezeichnen. Ebenso wenig ist es ein Zugewinn für die Deutsche Rapkultur, wenn jemand wie UFO361, der selbst Inbegriff der Kopierkultur ist, sich für 250K ein Feature mit LilBaby oder Future kauft. Vielmehr ist, Original und billige Kopie in ein Video zu packen, ein ziemlich zuverlässiges Rezept für ein maximales Cringe-level. Wer kann den Coolkids in Deutschland daher vorwerfen, dass sie lieber die Originale, als die deutschen Wish-Versionen pumpen? Gerade in einer Zeit, wo man die Auswahl hat und das Original zum gleichen Preis auf der selben Plattform findet. Supermärkte sind wenigstens so schlau, über einen günstigeren Preis einen Anreiz für den Endverbraucher zu schaffen, diese zu kaufen. Aber welcher Mehrwert entsteht für eine/n 14-20 jährige/n bei der Entscheidung für die Kopie anstatt für das Original? Für Junge Hörer sind Rap und Rapper in erster Linie ein Statement über sich selbst und ihre Einstellung, die sie nach außen tragen. Das machen sie für Anerkennung und um Anschluss an Gleichgesinnte zu finden. Das war schon in den 90ern so. Lernt man neue Leute kennen, ist die Frage danach, welche Künstler man feiert häufig eine der ersten. Nennt man hier den falschen Künstler, ist man schnell als corny abgestempelt. Eine Freundschaft ausgeschlossen. Die Frage ist also, wie kann man Fans in Deutschland ermöglichen sich besser mit Deutschrap zu identifizieren? Die Antwort liegt in den Gütekriterien, die für Rap international gelten, aber in Deutschland aktuell nicht erfüllt werden können. Allen voran stehen dabei Kultur und Authentizität – seine Geschichte glaubhaft zu erzählen und mit seinem kulturellen Umfeld zu verknüpfen. Einer der Pioniere in Deutschland, die zumindest versuchen diesen Anspruch zu erfüllen, sind Apache oder Mero.
Im Gegensatz zu allen anderen Camps in Deutschland, hatten die Labels von Mero und Apache den Mut mit ihren Künstlern neue Wege zu gehen. Man kann zu Mero stehen wie man will, was man Xatar und ihm aber nicht absprechen kann, ist ein gewisser Wagemut. Im Ergebnis hat Xatar mit Mero und seinem orientalisch geprägten Straßenrap einen völlig neuen Sound kreiert, der international seines gleichen sucht. Dafür muss er nicht einmal zwingend gut sein, nur neu und anders. Gleiches gilt für Bausa's Label TwoSides und Apache. Auch wenn die meisten, dies noch nicht sehen oder anerkennen können - AON und TwoSides haben damit einen echten Beitrag für eine eigenständige deutsche Rapkultur geleistet. Trotzdem ist dies nur ein erster Schritt in die richtige Richtung. In Anbetracht des Vergleichs den Xatar in seinem Post aufmacht und die Frage: warum US, UK und Frenchrap unique sind und Deutschrap nicht, wird ein viel substanzielleres Problem erkennbar, dass Deutscher Rap hat: Seine Protagonisten.
So ist der wohl tragendste Unterschied in diesem Ländervergleich, dass US, UK und französischer Rap vor allem von schwarzen Künstlern repräsentiert wird, die über Dinge sprechen, die wirklich Bestandteil ihres Alltags sind. Auch wenn die deutsche Rapszene in den letzten beiden Jahren einen stärkeren Zuwachs schwarzer Rapper verzeichnet, so sind diese in Deutschland noch stark unterrepräsentiert. Der Zugang für afrikanisch-stämmige Rapper ist auch erst seit kurzer Zeit
möglich, da schwarze Rapper in Deutschland in Vergangenheit eher selten von großen Labels gesignt und gepusht wurden. Durch den Wegfall dieser Zugangsbarrieren durch die Digitalisierung und soziale Medien, beginnt sich dieser Trend langsam zu wenden. Die Rechnung, umso mehr schwarze Rapper, desto besser und uniquer die Musik, geht aber gerade bei uns in Deutschland nicht auf. Die Erklärung dafür ist relativ einfach: Während Schwarze in den USA, UK und Frankreich vorwiegend aus Schwarzen Communities kommen, sind schwarze Kommunen in Deutschland sehr rar. Schwarze sind meist Teil gemischter Gruppierungen, die eher türkischarabisch geprägt sind, als afrikanisch. Das spiegelt sich auch in der Musik schwarzer Künstler wieder. Egal ob Luciano oder Manuellsen, niemand wird bestreiten, dass beide wohl der türkischarabischen Kultur näher stehen, als ihrer afrikanischen. Die Mehrheit der schwarzen Rapper handhabt das ähnlich wie alle anderen auch und kopiert Künstler aus den USA, England oder Frankreich. Auch wenn es bei Schwarzen aufgrund der optischen N.he nicht ganz so peinlich rüberkommt, sich wie sein Ideal zu verkleiden und Songs nachzusingen, wie beim Anwaltsohn Ullrich, der auf Trapper macht oder einem drillenden Iraner mit Rastaextentions, so bleibt es doch im besten Fall Karneval. Es ist weder Kunst, noch schafft es Identifikation über Authentizität. Es bleibt eine Wish-Version von Rap, für Hörer die noch zu jung sind, um zu checken, worauf es bei Rap ankommt und wie man Fire und Trash unterscheidet. Besucht man ein Konzert, Deutscher
Gangsterrapper, Trapper oder Driller, erkennt man spätestens daran, dass viele der Fans noch zu jung sind, um ein Konzert ohne ihre Eltern zu besuchen, wie die Fanbase wirklich aussieht. Auch wenn sich damit Gutes Geld verdienen lässt, ab einem gewissen Punkt muss sich wohl der Großteil der Deutschrap Ehrenmänner und -frauen eingestehen, dass sie Karnevalsprinzen sind, die verkleidet mit geklauter Musik Kiddies verarschen, bis diese alt genug sind, um zu verstehen, was sie sich da eigentlich geben. Eine Alternative wäre, den Einfluss internationaler Künstler auf Deutschrap auf Inspiration zu beschränken – was völlig legitim wäre – und diese Impulse zu nutzen, um ein eigenes, eigenständiges Produkt zu schaffen. Das muss bei Producern beginnen, die ebenso oft kopieren wie Rapper, und sich nahtlos bis in die Texte und Flows durchziehen. Das so etwas auch hier und auch für schwarze Künstler möglich ist, zeigt ein Beispiel aus Hamburg. So schafft es der Rapper ANSU aus Hamburg, gesellschaftliche Themen wie Rassismus oder Arbeitskultur in einem Trap- oder Drillrahmen zu verpacken, der sich auch noch gut anhört. Leider ist die Reaktion darauf in Deutschland immer die gleiche – erst erfährt man für soetwas Zuspruch, die anfängliche Solidarität wandelt sich aber dann spätestens beim zweiten mal, wenn Rassismus thematisiert wird, in Unverständnis. Der Hype bricht ein. Wahrscheinlich verzichten viele Schwarze Künstler in Deutschland auch daher darauf, die Probleme, denen sie sich tatsächlich ausgesetzt sehen, zu thematisieren. Gesellschaftlich gesehen ist das ein großer Missstand, der behoben werden muss, da man damit aus Mangel an Empathie schwarze Kultur im Keim erstickt. Für Deutschrap und seine kulturelle Entwicklung ist das dramatisch, da uns damit eine wichtige Komponente fehlt, um authentischen Rap in Deutschland zu machen. Rap ist schwarze Kultur. Kulturelle Weiterentwicklung kann nicht ohne die Träger der jeweiligen Kultur erfolgen. Daher kann die Lösung dieses Problems nur hei.en, mehr schwarze Kultur in Deutschland zuzulassen. Andernfalls wird Deutschrap immer nur im Windschatten internationaler Akteure stattfinden, was uns nicht erlaubt unseren kreativen Potenziale auszuschöpfen und die Welt damit ebenso zu beeindrucken und zu prägen, wie diese uns täglich beeindruckt und prägt. Wir von KlickBoom haben uns genau diesem Ziel verschrieben. Auch wenn HipHop.de, AON und wir in vielen Dingen verschiedene Standpunkte vertreten, so freuen wir uns darüber, dass uns der Wunsch verbindet, Deutschrap auf Augenhöhe mit der internationalen Konkurrenz zu bringen.