Mit frauenfeindlichen Einstellungen und antisemitischen Verschwörungserzählungen sorgen Rapper immer wieder für Schlagzeilen. Dabei ist es kein Zufall, dass Frauenhass und Antisemitismus im Genre oft gleichzeitig anzutreffen sind.
Nach dem Eklat bei der Echo-Verleihung 2018, bei dem die Rapper Farid Bang und Kollegah für ihr Musikalbum ausgezeichnet wurden, folgte das Aus für den Musikpreis. Bereits im Vorfeld übten zahlreiche Personen Kritik an der Nominierung des Rap-Duos wegen antisemitischer Textzeilen, darunter auch Überlebende der Shoah. Der Fokus der öffentlichen Diskussion lag dabei vor allem auf Textzeilen eines Songs, in dem es heißt: „Mein Körper, definierter als von Auschwitzinsassen“. Soweit so geschmacklos. Doch für die Frage nach Antisemitismus lohnt viel mehr der Blick auf die bereits 2013 veröffentlichte Single „Armageddon“ von Kollegah. Ein neunminütiges Musikvideo im Comic-Stil, in dem dunkle Mächte sämtliche Regierungen übernommen haben und die Menschheit von einem „Zyklopenwesen“ beherrscht wird. Kollegah als Held der Geschichte weiß, was zu tun ist: Er rammt dem einäugigen Bösewicht ein Pfahl ins Auge.
Mit „Apokalypse“ folgte 2018 die thematische Fortsetzung, die auf YouTube knapp 10 Millionen Aufrufe hat. In vier Akten rappt Kollegah, mit bürgerlichem Namen Felix Blume, wieder über eine Welt in Trümmern und finsteren Kreaturen, die die Menschheit bedrohen. Wieder muss der Held einschreiten, kämpft erst in Jerusalem und später noch einmal in London gegen das Böse. Am Ende rappt Kollegah: „Man sieht, wie Buddhisten, Muslime und Christen / gemeinsam die zerstörten Städte wieder errichten“. Ein „Happy End“ unter Ausschluss von Jüdinnen:Juden.
Was hat es mit Gangsterrap auf sich?
Der US-Rapper Chuck D. der legendären Band „Public Enemy“, der Inbegriff politischer Rapmusik, nannte Rap einst das „CNN der Schwarzen“. Gestartet als widerständige Gegenkultur, bot HipHop marginalisierten Menschen eine Stimme, um soziale Missstände der Gesellschaft anzuprangern. Conscious Rap, also explizit sozialkritische Musik, ist im deutschen Kontext wenig anzutreffen.
Weibliche MCs, die etwa die Selbstbestimmung von Frauen und sexpositive Inhalte in ihren Songtexten vermitteln werden immer erfolgreicher in der Branche, trotzdem dominiert weiterhin eine Form des Gangsterrap, der durch eine oft frauenfeindliche und hypermaskuline Kultur gezeichnet ist.
Im Battle-Rap geht es eigentlich um den reimtechnischen Wettstreit, bei dem eine:n tatsächliche:n oder ausgedachte:n Gegner:in auf unterhaltende und kreative Weise „gedisst“ wird. Im Gangsterrap erfolgt die Auf- bzw. Abwertung des Gegenübers oft durch plumpe, homofeindliche, sexistische oder rassistische Inhalte. Ein hypermaskulines Auftreten in Verbindung mit frauenfeindlichen Einstellungen sind hier eher die Regel, als die Ausnahme.
Ist Deutschrap anfällig für Antisemitismus?
Gefährlich wird es aber vor allem dann, wenn nicht nur wenige Zeilen zur Debatte stehen, sondern Rapper:innen versuchen, globalgesellschaftliche Politik zu erklären. Gerade Antisemitismus fungiert dabei oftmals als Welterklärungsmodell. Komplexe Zusammenhänge und Widersprüchlichkeiten werden in vereinfachte Gut-und-Böse-Schemata übertragen und verkürzte Kapitalismuskritiken angeführt, bei denen letztlich Jüdinnen:Juden für das globale Finanzkapital stehen und alle Menschen ausbeuten. Auch im Gangsterrap sind solche Muster anzutreffen.
In dem 2015 vom Rapper Haftbefehl veröffentlichten Song „Hang the Bankers“ werden „Banker, der Teufel im Anzug“ für das Attentat von 9/11 verantwortlich gemacht. Zwar wird auf einen direkten Verweis auf Jüdinnen:Juden verzichtet, die Bezugnahme auf „Rothschild“ und „Illu“ kann jedoch als Chiffre gelesen werden. Letztlich konstruiert der Song ein antisemitisches, weil verschwörungsideologisches Weltbild, in dem der Jude als „Banker“ manipulativ und raffgierig die Welt unterjocht und sich selbst bereichert.
Deutschrap in Zeiten von Corona
Xavier Naidoo, das wohl bekannteste Beispiel für einen Musiker auf Abwegen, machte Anfang der 2000er mit „Brothers Keepers“ noch Musik gegen Nazis und Rassismus. Nun bewegt er sich im verschwörungsgläubigen und rechtsextremen Milieu. Mit diversen Musikprojekten mit rechtsextremen Künstler:innen sorgte er wiederholt für Empörung. Neben der Kooperation mit der rechtsextremen Hooligan-Band Kategorie-C veröffentlichte Naidoo im Mai 2021 eine weitere Platte mit der 16-köpfigen Rap-Crew „Rapbellions“. Die überwiegend unbekannten Rapper sprechen in dem Song „Ich mach da nicht mit“ vom „Großen Austausch“, den Gefahren des Impfen sowie den „Killuminatis“, denen man sich endlich entgegenstellen müsse.
Doch Naidoo ist nicht erst seit der Pandemie abgedriftet, sondern entwickelte seine Ansichten über einen langen Zeitraum. Bereits 1999 gab er ein Interview, in dem er sich selbst als „Rassist ohne Ansehen der Hautfarbe“ bezeichnet. Er sprach vom Wettstreit der Religionen, sowie der drohenden Apokalypse. Schon 2009 veröffentlichte er den Song „Raus aus dem Reichstag“, in dem es heißt:
„Baron Totschild gibt den Ton an, und er scheißt auf euch Gockel / Der Schmock ist’n Fuchs und ihr seid nur Trottel / Noch dümmer als Bernanke, Trichet und King / Deutsche Bänker, unser Schandfleck, lieben jedes krumme Ding / Um den Deutschen das Geld aus der Tasche zu ziehn / Haben die, die Geld verloren haben, es nicht anders verdient“.
Die Gemeinsamkeiten zu den Songs von Kollegah und Haftbefehl sind evident. In allen Fällen wird das Stereotyp eines weltbeherrschenden Finanzjudentums dargelegt.
Der Berliner Rapper Alpa Gun greift in seinem im August 2020 veröffentlichten Song „Was ist die Wahrheit“, mit fast drei Millionen Aufrufen auf YouTube, gängige „Querdenken“-Motive auf. Irritierenderweise fängt das Musikvideo mit einem Ausschnitt aus Merkels 2015 gehaltener Rede zur Fluchtbewegung nach Europa 2015 an. Alpa Gun überträgt Merkels „Wir schaffen das“ auf den Pandemiekontext und bezeichnet Medien pauschal als fremdgesteuert, verharmlost Covid-19 und bedient Verschwörungserzählungen, die im Zusammenhang mit dem Virus kursieren.
Doch nicht nur in Songs verbreiten Rapper:innen problematische Inhalte. Seit Corona gibt es auch vermehrt Formate in den sozialen Medien, die reichweitenstark sind und über die Personen des öffentlichen Lebens ihre eigenen Ansichten teilen. In dem YouTube-Talk „Ali therapiert“ des Rappers Ali Bumaye unterhielt sich dieser mit dem Rapper Sido über Xavier Naidoo. Zwar würde Naidoo „zu tief drin stecken“, trotzdem empfiehlt auch Sido „alternative Medien“, spricht von „sehr reichen und mächtigen“ Leuten und von Kinderhändlerringen, die bis in die Politik reichen würden. Die Nähe zur QAnon-Verschwörungsideologie ist offensichtlich.
In der Telegram-Gruppe des Rappers Fler mit dem Namen „Maskulin“ teilte dieser im April 2020 ein Bild mit einem Zitat von Benjamin Franklin: „Wer die Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen, wird am Ende beides verlieren“. Darunter verlinkte er dann noch ein Video des Verschwörungsideologen Ken Jebsen mit dem Hinweis „Alle mal abchecken“. Fünf Monate später war Fler dann selbst Gast bei KenFm und gab ein ausführliches Interview. Zu den Themen gehörte neben Flers Kindheit Verständnis für Xavier Naidoo, der fehlende Patriotismus der Deutschen, aber auch die Corona-Pandemie. Fler trage keine Maske, das sei aber auch kaum nötig, da sein Kumpel und seine Frau die meisten Erledigungen für ihn machen würden, wie er im Interview erzählt.
Auch vorher war Fler kein unbeschriebenes Blatt. 2005 veröffentlichte er das Album „Neue Deutsche Welle“, das er mit dem abgewandelten Adolf-Hitler-Zitat „Ab 1. Mai wird zurückgeschossen“ auf verschiedenen HipHop-Medien bewarb. Mit Zeilen wie „Das ist schwarz-rot-gold / hart und stolz“ propagiert er ein völkischen Nationalstolz. Zwar distanziert sich Fler immer wieder von der rechten Szene, in seinem Release von 2008 „Deutscha Bad Boy“ heißt es allerdings:
„Ich bin deutsch, bin drauf stolz / Leute sagen, Fler is‘ proll / Leute sagen, ich bin Nazi / Mir egal, sagt, was ihr wollt / (…) Blaue Augen, weiße Haut, tätowiert, breit gebaut / Jeder hat’s kapiert, ein deutscher Badboy“.
Mit dem Propagieren eines völkischen Patriotismus, der wiederholt Nazi-Ästhetiken bemüht, sieht die Musik- und Kulturwissenschaftlerin Anna Groß, die auch das feministische Musiklabel „Springstoff“ gründete, in Fler den Wegbereiter für späteren Nazirap, wie sie in einem Interview mit Die ZEIT von August 2020 sagt. Als rechte Agitator:innen 2015 gegen Geflüchtete hetzten, verlinkte Fler über seinen Facebook-Account das rechte Compact-Magazin mit den Worten „Müsst ihr Abchecken“.
Ben Salomo, der die erfolgreiche Battle-Rap-Reihe Deutschlands gründete und selbst jüdisch ist, sagte in einem Interview von 2019 „Ich halte die Deutschrapszene in weiten Teilen für so antisemitisch wie den Rechtsrock“.
Ein Indiz dafür findet sich im erfolgreichen „100% Realtalk Podcast“ der Rapper B-Lash und MC Bogy, bei dem auch Attila Hildmann schon zu Gast war. Hier spricht der Moderator B-Lash in einer Folge vom Juni 2019 über Antisemitismus als „Kampfbegriff“. Das Berliner Rap-Urgestein MC Bogy kritisiert nicht nur die „Lügenpresse“, sondern spricht auch von der „kompletten Vernichtung“ der Sudetendeutschen während des zweiten Weltkriegs. Nachdem MC Bogy im August 2021 seinen Job bei MTV Deutschland verlor hatte, gab er dafür Ben Salomo die Schuld, der angeblich von einer „reichen Lobby“ bezahlt werde, wie dieser auf Twitter publik machte.
Überschneidung zu Frauenfeindlichkeit
Dass Rapper, die sich antisemitisch äußern, oft auch frauenfeindliche Einstellungen haben, ist kein Zufall. In der dieses Jahr entfachten Diskussion um #deutschrapmetoo reagierten auch die Rapper Fler und MC Bogy mit Ablehnung. MC Bogy schrieb in einem Tweet „Zur Hölle mit #deutschrapmetoo“, forderte „Make Hip Hop great again“ und bedrohte profeministische Rapper wie LGoony. Eine Frau, die Fler in ihrer Instagram-Story erwähnte, um für eine Kampagne gegen Frauenhass im Netz zu werben, bedrohte und beleidigte die Frau daraufhin (siehe Watson). Via Instagram setzte er sogar ein Kopfgeld aus mit den Worten „2000 Euro, wer die Nutte ranbringt“. Das zeigt: Auch im Rap treten Antisemitismus und Antifeminismus oft gleichzeitg auf.
Unser Fazit
Auch wenn der Artikel gut geschrieben und informativ ist, so kamen uns in der KlickBoom Redaktion schnell Zweifel in Bezug auf das Ergebnis der Analyse. Letztlich glauben wir nicht, dass das hier skizzierte Bild von Deutschem Rap wirklich der Realität entspricht. Denn es basiert auf einer Beweisführung und Vergleichen, die aus unserer Sicht ziemlich hinken. Zuallerst stellt sich die Frage, warum man ein drei Jahre altes Beispiel bemühen muss, wenn man über ein aktuelles Problem spricht. Die Antwort ist einfach: Weil es eben passt. Weil es in die Argumention passt, wird selbst Xavier Naidoo aushilfsweise zum Deutschrapper. Wait .. What?
Die Begriffe, die die Autorin Nene Opoku in ihrer Analyse nutzt, erzeugen schnell den Eindruck, dass es hier nicht um eine objektive Auseinandersetzung mit Deutschrap geht, sondern dass hier lediglich ein bereits gefälltes Urteil mit Fakten untermauert werden soll. Deutscher Rap sitzt hier einmal mehr auf der Anklagebank. Daher spricht die Autorin in ihrem Selbstverständnis als Anklägerin auch von Indizien und Propaganda in ihrer Beweisführung. Auch die Auswahl der Beispiele finden wir ziemlich fragwürdig. Kollegah, Farid Bang, Haftbefehl, Fler und MC Bogy sind zwar ohne Frage Deutsche Rapper, aber keinesfalls repräsentativ und daher auch nicht auf die Gesamtheit aller Deutschrapper übertragbar. Diese zu Deutschrap-Botschaftern zu stilisieren, weil es der Argumentation dient, überzeugt uns nicht, weil es eben nicht wiederspiegelt was die große Mehrheit im Deutschrap denkt. Auch wenn Rap, wie richtig erkannt, ein Wettbewerb ist, indem man sich mit harten Bandagen misst, ist die Mehrheit Deutscher Rapper und Raphörer sicher weder antisemitisch noch frauenfeindlich eingestellt. Dieser Eindruck kommt zustande, wenn man die Materie Rap nicht versteht und Inhalte überbewertet, weil man diese an falschen Maßstäben misst. Deutscher Gangsterrap ist genauso fiktiv wie ein Actionfilm und dient ebenso der Unterhaltung. Jede Quelle, die in der Analyse von Opoku vorkommt scheitert inhaltlich bereits daran, Realität und Entertainment zu unterscheiden und kann daher auch kein Ergebnis mit Aussagekraft produzieren.
Würde man sich ernsthaft mit der Realität im Deutschen Rap bzw. dessen Soziologie befassen, so käme man schnell zu dem Ergebnis, dass – surprise, suprise – Rapper für gewöhnlich nicht der Bildungsoberschicht entstammen. Man muss auch keine tiefgreifende Analyse anstrengen, um zu erkennen, dass einfache Erklärungen je besser verfangen, desto weniger Bildung jemand mitbringt. Das würde plausibel begründen, warum Verschwörungstheorien hier gut verfangen. Naheliegender als die Vermutung, Antisemitimus und Frauenfeinlichkeit seien Teil der Rapkultur, ist für uns, dass Menschen wie Bogy, Fler oder Farid Bang nie ein Bewusstsein für Political Correctness entwickelt haben, weil es da wo sie herkommen einfach keine Rolle gespielt hat. Aber für Plausibilität und Logik ist in Nene´s Analyse leider wenig Raum, da zum Ende des Artikels die Verdächtigen bereits für schuldig erklärt sind und damit Deutschrap generell als Brutstätte für politisch Inkorrekte entlarvt.
Einmal so richtig in Fahrt gekommen, wird selbst #deutschrapmetoo nicht gut zu finden, zum Indiz für frauenfeindlich, womit auch wir unseren Sitz auf der Anklagebank einnehmen. Schließlich können auch wir einer Initiative nichts abgewinnen, die versucht auf dem Rücken von Vergewaltigungsopfern Hype zu generieren, dabei die Opfer weder finanziell noch anderweitig unterstützt und above all sogar aktive Täter-Opfer-Umkehr betreibt. Dass die Initiative auf einer Lüge von Nika Irani aufsetzt und der Rapper Samra hier das Opfer war, findet keinen Platz in Opoku´s Analyse. Der Berührungspunkt zu #deutschrapmetoo ist aber offensichtlich. Beide fällen gerne Urteile basierend auf fragwürdigen Faktenlagen und leiten daraus eine Existenzberechtigung für sich ab.